• Blog über Wein und Genuss

Geschmack ist relativ

Ich habe ein Buch gelesen. – Nein, keine Sorge jetzt kommt kein Abklatsch von Marcel Reich-Ranicki. Vielmehr fand ich einen Gedanken/Situation in dem Krimi „Wein oder nicht sein “ von Uwe Krauss (cocon-Verlag) besonders erwähnenswert.

Aber vielleicht erst mal eine kurze Zusammenfassung: Der Weinsammler Kurt Gilser steigt mit seinen Freunden, einem Weinhändler und einem Weinkritiker, in seinen Keller , um berühmte Bordeaux zu verkosten. Dieser Keller liegt in einem Luftschutzbunker unter seinem Garten, gefüllt mit 35.000 Flaschen. Der Bunker wird mutwillig von außen verschlossen; die Stahltür ist alarmgesichert, die Wände aus Stahlbeton, Handynetz gleich null. Womit jeglicher Befreiungsversuch scheitern muss. Warum wurden sie eingesperrt? Das gilt es im Verlauf des Buches zu klären. Die drei sitzen für die nächsten Tage fest ,mit etwas Nahrung, einem Geheimnis und jeder Menge außergewöhnlichem Wein!

Also gut – Kurt Gilser wird von seinen Freunden gedrängt das Weinparadies zu öffnen, damit man sich die Zeit mit Verkostungen vertreiben kann. Dazu sein Einwand: „….. aber ich befürchte, guten Wein muss man in Freiheit probieren.“ Für Kurt bedeutet Genießen Freiwilligkeit, d.h. Freiheit der Gedanken, des Lebens, der Entscheidungen. Entsprechend schmeckt seiner Meinung nach der Wein in Freiheit anders als in diesem Verlies: „Vielleicht verliert großer Wein seine Intensität, wenn man dunkle Gedanken hat.“

Die in diesem Krimi beschriebenen Weine zählen zu den ganz großen Tropfen der Weinwelt. Man kennt die meisten Weine, aber in diesem Leben werde ich wohl keinen davon probieren – der Preis ist heiß. Diese Weine trinkt man nicht mal so eben nebenbei, sie werden zelebriert!

Ich kann da nicht mitreden, aber ob das in Gefangenschaft genussvoll möglich wäre, wage ich auch zu bezweifeln. Runtergebrochen auf ein Alltagsniveau fallen mir die Urlaubsweine ein. Die meisten haben sicherlich schon mal erlebt, dass ein Wein in herrlicher Urlaubsstimmung unter Palmen mit strahlend blauen Himmel ganz anders mundet, als z.B. im tristen Grau des herbstlichen Novembers. Dieses nicht ungewöhnliche Empfinden ist natürlich bedauerlich. Aber andererseits sehr interessant zu sehen, wie relativ Geschmack sein kann.

Selbst die äußerst anerkannte Weinjournalistin Jancis Robinson hat in einem Interview eingeräumt, bei aller Professionalität, sich nicht davon freisprechen zu können, in beeindruckender Atmosphäre verkostete Weine anders beurteilt zuhaben, als im kalten anonymen Probierraum.

Natürlich gibt es geschulte Profis, die Weine bewundernswert detailliert und objektiv, unter Laborbedingungen, beurteilen können. Die breite Masse dagegen probiert Wein, z.T. vielleicht mit dem Anspruch der objektiven Beurteilung, aber letztlich schwappt der eigene Geschmack bzw. sensorische Vorlieben mit hinein. Man darf sicher nicht probieren und objektiv beurteilen durcheinander werfen. Unter dem Strich zählt der individuelle Geschmack, eben auch in der individuellen Situation. Bei allem Bedauern für Flops oder späteren Enttäuschungen macht das die Sache doch spannend.

Zum Schluss noch mal kurz zu Kurt Gilser; bezogen auf seine Wein-Sammelleidenschaft und dem genial gefüllten Keller: „Hier unten ist nicht das Leben. Hier sind nur Flaschen. Ich habe mich mit Flaschen beschäftigt. Aber nicht mit dem Leben.“ Ohne das Leben, d.h. im Austausch mit Freunden oder anderen Weinverrückten, bleibt sogar ein Stück Weinqualität auf der Strecke.

Also: Immer wieder unvoreingenommen, mit Spaß und in Gesellschaft probieren. – Probieren geht über Studieren.

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